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EDITORIAL

aus Heft Nr. 6/2000


Digitaltechnik geschwätzig wie Dienstboten

Die Digitaltechnik hat uns im Audio- und Videobereich in erster Linie sehr gute Qualität zu erschwinglichen Kosten gebracht. Die CD klingt bereits mit Playern ab rund 1000 Schilling ganz gut, was man mit der Schallplatte oder mit Tonband kaum hätte schaffen können. Jetzt mit den kommenden Generationen DVD-Audio bzw. Super Audio CD sogar bedeutend besser, wenngleich vorläufig noch teurer.

Audio mit Speicherung auf Flash-RAM oder Harddisk ist die aktuelle Technik für Musik zum in die Tasche stecken und wird damit der eigentliche Nachfolger der Compact Cassette. Wie bereits ausführlich erläutert allerdings mit einem kleinen Unterschied in der Handhabung: Die Musiksammlung ist - statt im Regal - auf der Harddisk des PCs. Aktuell gewünschte Titel werden - statt als Cassette oder MiniDisc in die Tasche gesteckt - in den Speicher des Chip-Audio-Players hochgeladen. Dasselbe bei Video. Mit dem DV-Format gibt es vergleichsweise spottbillige Camcorder, die sendereife Qualität liefern. Analog wäre das für dasselbe Geld nicht zu realisieren.

Bis hierher handelt es sich um die noch eher primitive Nutzung der Digitaltechnik. Der Knackpunkt ist - und das ist der Angelpunkt von allem, was man unter Multimedia versteht -, dass Digitaltechnik bedeutet, dass Audio und Video in einen Datenstrom gewandelt wird. Also das selbe Format, in dem auch Text-Informationen transportiert werden. Dadurch, dass sich also in den Datenstrom eines Audio-Video-Signals auch konventionelle Daten einfügen lassen, kann der Hersteller der Audio-Video-Daten ziemlich weitreichend bestimmen, was man damit anstellen darf und was nicht.

Besonderheit eines Datenstroms ist, dass er verlustfrei kopiert werden kann. Die Kopie entspricht also dem Original. Nicht gerade begeisternd für die Autoren und Produzenten. Also werden Daten verschlüsselt oder es werden Barrieren eingebaut, die dieses Kopieren einschränken oder verhindern. Bei der DVD-Video nutzt man diese Möglichkeit zudem zur Kennzeichnung, damit bestimmte Filme nur auf Playern in bestimmten Erdregionen abgespielt werden können. Das ist der Regionalcode. Dies ließe sich alles noch ausweiten.

Beispielsweise, dass man sich Sexfilme nicht untertags, sondern nur nachts anschauen kann. Bei Digitalgeräten ist dies alles lösbar. Sie können durchaus auf "erzieherisch" getrimmt werden. Oder "rücksichtsvoll". Beispielsweise, dass ab 22 Uhr die Wiedergabe nur noch über Kopfhörer funktioniert. Auch das werden wir noch erleben.

Der Knackpunkt der Digitaltechnik aber ist, dass damit auch Computer arbeiten. Und somit auch Roboter. Also ist sie prädestiniert dazu uns ein Maß an Bequemlichkeit zu bescheren, die mit Analogtechnik einfach nicht so einfach realisierbar war. Roboter brauchen Informationen, der Mensch braucht Nachschub an neuen Inhalten, die er sich in Form von Audio, Video oder Text zu Gemüte führen kann. Ein Teil davon kommt von den TV-Stationen, ein anderer wird in Zukunft über Datennetze kommen; aus dem bzw. über das Internet.

Wenn ich eine Aufgabe jemanden anderen anvertraue, dann kann ich nur noch darauf vertrauen, dass diese in meinem Sinne erledigt wird. Wenn ich statt einer manuell einstellbaren Kamera eine automatische verwende, kann ich nur darauf vertrauen, dass sie eine Zeit-Blenden-Focus-Einstellung wählt, die ich selbst auch wählen würde. Wenn ich mich rundum von Dienstboten bedienen lassen will, muss ich damit leben, dass nach einiger Zeit mir wildfremde Leute über meine persönlichen Gewohnheiten und Marotten bescheid wissen.

Wenn ich es im Internet bequem haben will und daher möchte, dass mich ein Server identifizieren kann und bereits meine Vorlieben kennen soll, dann werde ich damit leben müssen, dass mir wildfremde Leute Zugang zu Informationen über meine Person bekommen. Ich darf mich auch nicht wundern, wenn ich mir bequem via Internet Informationen über den neuesten Sportwagen abrufe und zwei Wochen später Angebote von Kfz- Versicherungen oder Autozubehörfirmen im Postkasten oder im E-Mail-Fach liegen.

Eine besondere Form der Bequemlichkeit bietet freilich der "Bürocomputer", also der konventionelle PC. Am Anfang waren beispielsweise Textverarbeitungsprogramme, die einfach nur ihren Urzweck erfüllt hatten.

Bereits seit Jahren können normale Büroanwendungen bedeutend mehr. Wenn man beispielsweise ein Textdokument öffnet, beginnt Musik aus den Lautsprechern zu tönen. Oder es werden automatisch Abläufe in Gang gesetzt. Ein Beispiel dafür ist die Verwendung von E-Mail und Terminkalender. Mit dieser Kombination ist es möglich, Terminabstimmungen zu automatisieren. Der A schickt an den B ein E-Mail mit einer Terminanfrage. Beim B wird das E-Mail automatisch geöffnet. Beim Öffnen startet automatisch ein Script. Dieses ist so programmiert, dass es im Terminkalender des B nachschaut, ob der Termin noch frei ist. Ist er frei, dann wird der Termin automatisch eingetragen. Und es wird ein Antwort-E-Mail generiert mit der Bestätigung des Termins an den A.

Abgesehen davon, dass da die theoretische Möglichkeit besteht, dass der B zwar freie Zeit hat, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle Unterlagen für ein Gespräch mit dem A beisammen hat ist das wohl prinzipiell eine feine Sache. Es ist sehr bequem. Wenn aber das funktioniert, dann kann man mit einem solchen Makro auch noch ganz andere Sachen anstellen. Das passiert immer öfter mit den sogenannten Makroviren. Der berüchtigtste ist der sogenannte "Loveletter"-Virus. Nach Öffnen des E-Mails wurde einfach der Inhalt des E-Mails an alle Adressen verschickt, die in der Datenbank des Betroffenen eingetragen waren. So hatte sich das Virus freilich blitzartig verbreiten können. Das funktionierte aber nur bei jenen E-Mail-Empfängern, die einen Mail-Client verwenden, der Macros abarbeiten kann. Wenn ein Mailer Macros verarbeiten kann, dann arbeitet er mit bestimmten Kommandos. Das Macro muss also auf die bestimmte Anwendung zugeschnitten sein. Hier halten sich kriminelle Programmierer an die am stärksten verbreiteten Microsoft-Produkte. Wer diese verwendet, ist also insofern "trendy" als er ein Gesprächsthema mit anderen Geschädigten hat, wenn ein solcher Virus in Umlauf gebracht wird. So gesehen versäumt man damit kein spannendes Abenteuer der Computer- Welt.

Freilich gibt es nichts geschenkt. Der Preis für kostenloses Fernsehen ist Werbung und Schleichwerbung, vulgo "Productplacement". Und diese soll der Konsument auch anschauen.

Ein Dorn im Auge der Fernsehanstalten sind die analogen Videorecorder, die alles tun, was der Benutzer will. Weil man sich an der von ihnen ausgestrahlten Werbung vorbeischwindeln kann, mit der aber die meisten Fernsehanstalten ihren Betrieb finanzieren. Wenn Sendestationen während der Werbeblöcke VPS ausschalten, dann werden diese Werbeblöcke nicht aufgezeichnet.

Es gab einige Versuche Werbung zu detektieren und dann entweder das Fernsehgerät blind zu schalten oder bei einer Aufzeichnung bis zum Ende des Werbeblocks zu spulen. Zwei wesentliche Verfahren gibt es dafür. Das eine reagiert auf die bedeutend raschere Szenenfolge bei Werbeblöcken, das andere darauf, dass während Werbeblöcken das Senderlogo nicht eingeblendet ist. Deswegen blenden übrigens einige Stationen auch während der Werbung ihr Logo ein.

Der Videorecorder hat eine relativ umständliche Bedienung. Immer noch, leider. Das wird nun bald alles viel besser und komfortabler werden. Das Zauberwort heißt "Harddisk-Recording". Vorteil: Man kann gleichzeitig wiedergeben und ein anderes Programm aufnehmen. Ein Schmankerl dieser Technik: Angenommen, Sie müssen für einige Minuten vom Fernsehgerät weg, wollen aber nichts versäumen. Also drücken Sie einfach eine Taste. Daraufhin wird die Sendung auf Harddisk aufgezeichnet. Wenn man wieder weiterschauen will, drückt man wieder nur eine Taste und kann von dort aus weiterschauen, wo man zuvor aufgehört hat. Bemerkenswert dabei: Währenddessen wird weiterhin die noch laufende Sendung aufgezeichnet, sodass man mit der Wiedergabe nicht warten muss bis die Sendung beendet ist.

Harddisk-Recording ist aber nun schon wieder so bequem, dass man Werbeblöcke noch leichter überspringen könnte. Also ganz schlecht für die Sender. Und weil das Ganze ja eigentlich ein Computer ist, kann man auch gleich ein paar Daten über die Zuschauer sammeln und somit die Technik für sich nutzen. Es wird also nicht einfach irgendeine Werbung eingeblendet, sondern passend für den oder die Zuschauer. Schaut man sich einen Kinderfilm an, dann werden es Süßigkeiten und Spielzeug sein, schaut man sich häufig Autotests an, dann wird man mit Werbung für die neuesten Autos penetriert.

Die passenden Werbeblöcke sind schon auf der Harddisk gespeichert bzw. werden fallweise im Hintergrund nachgeladen. Gelegentlich wird dann die Videowiedergabe unterbrochen und die individualisierte Werbung wird abgespielt. Und es gibt keine Möglichkeit, diese zu überspringen. Man kann nur noch aus dem Zimmer gehen.

Also immer dann, wenn man es sich zu bequem machen will, hat man erstens nicht mehr selbst alles unter Kontrolle und verliert man zweitens die Privatsphäre. Das ist freilich keine Überraschung, denn das war immer schon so. Heute fällt es nur viel mehr Leuten auf. Weil ein Digitalrecorder um einiges leichter erschwinglich ist als Lohn und Unterkunft für Dienstboten.

Bis zum nächsten Mal,

Ihr

Felix Wessely


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